Internet killed the TV-Star: Vor ziemlich genau 10 Jahren habe ich meinen Fernseher abgeschafft. Das Tagesgeschehen verfolge ich schon lange nicht per TV. Das geht im Internet viel besser und gezielter. Aber eine wichtige Funktions des Fernsehen kann es nicht ersetzen: das soziale Erlebnis.
Ich lese, sehe, höre nur genau das, was mich interessiert. Ich habe meine eigene Zusammenstellung aus Blogs und Zeitschriften im Feedreader. Ich twittere. Das Web ersetzt mir die Nachrichtensendung, die Doku, den Brennpunkt, die Talkshow, sogar die Unterhaltungsshow. Selbst die Werbung muss mich nicht stören: Sie bedeutet im Web (meistens) keine Zwangspause. (OK, bleiben Spielfilme und Serien: Die schaue ich mir auf DVD an. Sie bieten O-Ton und Untertitel; das ist heute kein Luxus mehr sondern umgekehrt ein Manko des herkömmlichen Fernsehens, aber auch hier wird das Web sehr bald das Fernsehen ersetzen können, mit mehrsprachigen und untertitelten Streaming-Diensten.)
Gerade mal politische Wahlen, die Anschläge aufs World Trade Center und die Wahl des Papstes habe ich noch intensiv im TV verfolgt. Heute tue ich nicht einmal mehr das. Wollte meine Liebste irgendwas sehen, hatte ich fast immer etwas zu Lesen. Oder den Laptop auf dem Schoß. Mache ich den Fernseher jenseits einer Fußball-WM/EM an, erlebe ich regelmäßig einen kleinen Kulturschock. Irgendwie bin ich noch das Fernsehen von vor 10 Jahren gewohnt. Vermutlich ist es ein Trugschluss und mir kommt es nur so vor, als sei damals alles besser gewesen. Immerhin habe ich sogar mal regelmäßig “Wetten dass…?” gesehen. Auch damals gab es schon hirnlose Soaps, aber spätestens der Blick auf MTV zeigt, dass das Fernsehen für einen denkenden Menschen weitgehend unkonsumierbar geworden ist. Fernsehen ist immer mehr wie Radio: Es dient der Berieselung nebenher.
Lange Zeit dachte ich, dass es nur mir so geht: Wegen meiner Hörschädigung. Ich lese einfach lieber, als zuhören zu müssen. Mittlerweile weiß ich, dass ich nur schon früh zu einer Art Avantgarde gehört habe. Ich mache seit Jahren, was heute alle tun, die etwa 10 Jahre jünger sind als ich.
Eines ist mir aber beim Verfolgen der WM-Spiele in Kneipen, Zelten und beim Public Viewing aufgefallen: Mir fehlt schmerzlich ein Medium für das Miteinander – Twitter und Facebook liefern genau dies nicht: Aus Egoisten der Fernbedienung sind Egomanen der Maus geworden. Fernsehen konnten wir zusammen: zu Hause oder in der Kneipe. Man konnte sich fast immer auf etwas einigen. Und am nächten Tag auf dem Schulhof oder im Büro darüber diskutieren. Fernsehen war ein Gruppenerlebnis. Und ein Paarerlebnis, zu dem man sich zweisam aufs Sofa kuscheln konnte.
Das funktioniert mit dem heutigen Web nicht. Haben alle zu Ende gelesen? Darf ich weiterscrollen? Jeder will was anderes anklicken? Gruppenweise im Netz sein würde wie eine Art Powerpoint-Show wirken. Vor dem Bildschirm sind wir alle alleine, auch wenn wir versuchen, das durch soziale Netze wie Twitter, StudiVZ und Chats zu kompensieren. Die Zeit, die man ohne seinen Partner vor dem Rechner verbringt, ist schon lange ein Streit- und Krisenthema in Beziehungen.
Das Fernsehen drängt mit Macht ins Web, ist dort aber ignorierbar. Man kann die Tagesschau oder irgend eine Sendung im Web sehen, muss aber nicht. (Gerade deshalb ist es auch perfide, dass die GEZ Gebühren für Computer eintreibt.) Was das TV aber nicht ins Web hinüber rettet, ist das Gruppenerlebnis. Bitte! Ich möchte beim Bierchen in der Kneipe das Web “konsumieren”, ohne dass jeder autistisch seinen eigenen Laptop bedient. Ich möchte mit meiner Liebsten beim Twittern kuscheln können. Wie könnte das gehen? Wie könnte so ein Medium jenseits von Web und TV aussehen? Spannende Frage.
[Bild: Flickr / rahuldlucca (CC)]
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